„Heimtiermarkt in Deutschland boomt im zweiten Corona-Jahr“
Der Gesamtbedarf der deutschen Heimtierbranche stieg um fast 10% auf gut 6 Mrd Euro, wie der Industrieverband Heimtierbedarf (IVH) und der Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe (ZZF) am 22.04.2022 mitteilte.
Diese Zahlen rufen in Stadt und Land sicherlich unterschiedliche Reaktionen hervor!
Während die Bevölkerung im ländlichen Bereich und mit Bezug zur Nutztierhaltung in der Landwirtschaft oder zur Jagd eher erstaunt innehält, könnte die Reaktion im städtischen Umfeld vielleicht ein zufriedenes Lächeln sein.
Der Landwirt, oft selbst auch Haustierbesitzer, sieht das Tier als Mitgeschöpf, welches als solches, immer aber als Tier, zu behandeln ist. Der Begriff „tiergerecht“ ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig! Was tiergerecht ist, legen wissenschaftliche Gutachten fest, die z.B. die Grundlage für die Überprüfung von tierhaltenden Betrieben durch Behörden bilden.
Viele Menschen ohne Bezug zur Nutztierhaltung sehen ihr Haustier als Mitgeschöpf und Partner mit Ansprüchen an eine „adäquate“ Behandlung entsprechend seiner Stellung in der Hausgemeinschaft. Das hört sich erstmal sehr theoretisch an, führt in der Praxis allerdings zu Situationen, die die jeweils andere Seite mit Erstaunen und manchmal sogar Entsetzen zurücklässt! Tiere werden „vermenschlicht“, ihre Bedürfnisse oft aus der eigenen Sicht als Mensch heraus interpretiert. Spontan fallen mir als Beispiel da die TV-Formate mit Hundeerziehern ein, in denen der Hund im Extremfall der Chef im Haus ist. Andererseits lesen wir über nächtliche Befreiungsaktionen von Nutztieren durch Tierschutzaktivisten. Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen?
Zurückblickend hatte noch vor 60 Jahren nahezu jeder Mensch in Deutschland einen unmittelbaren Berührungspunkt mit der Landwirtschaft und damit der Produktion tierischer Nahrungsmittel. Täglicher Fleischkonsum war alles andere als selbstverständlich, vielmehr ein angestrebter Zustand von Wohlstand. Aus dieser Zeit stammt der Begriff des Sonntagsbratens. Entweder man lebte und arbeitete damals auf dem Land oder man besuchte regelmäßig Verwandte, die das taten. Tiere wurden als Lieferanten von Eiern, Milch oder Fleisch wahrgenommen. Gehalten wurden diese Tiere von den Landwirten oder Mitarbeitern in der Landwirtschaft und man respektierte deren Expertise als Tierhalter.
Heute hat der Großteil der Bevölkerung kaum noch einen Bezug zu landwirtschaftlichen Nutztieren und kennt auch Landwirte eher aus den Medien, denn privat. Der erste Kontakt mit einem Tier ist oft der mit dem Hund oder der Katze der Familie. Als erstes erleben die meisten Menschen bei uns also ein Tier als Mitbewohner mit einer bestimmten Stellung in der häuslichen Gemeinschaft sowie eigenem Fress- und Schlafbereich, wobei sich letzteres immer häufiger mit den Bereichen von Frauchen und Herrchen deckt. Durch die steigende Zahl kleinerer Haushalte mit ein oder zwei Personen und dem zunehmenden Problem der Vereinsamung in unserer Gesellschaft, wächst die Bedeutung des Haustieres als Gefährte, dem es gut gehen soll. Zudem könnte der Eindruck entstehen, viele Menschen umgeben sich inzwischen lieber mit Tieren statt mit Menschen, denn der Trend zum Zweithund ist ungebrochen. Dies zeigen z.b. die Nachfragen im Tourismusbereich, wo verstärkt nach Unterkünften für mehr als einen Hund gefragt wird. Auch hier hat Corona, wie in vielen anderen Bereichen, als Katalysator gewirkt. Die Werbung tut dann ihr übriges, um den Bedarf an Heimtierprodukten zu steigern, womit die 6 Mrd Euro zu Beginn erklärt werden können.
Mit der beschriebenen Entwicklung über die letzten 60 Jahre hat sich heimlich und leise auch etwas ganz Wesentliches geändert: die Anzahl der Tierhalter mit Haustier (47 Prozent der ca 41 Mio Haushalte in Deutschland halten ein Haustier) hat sich gegenüber den Nutztierhaltern in der Landwirtschaft (noch 77.200 tierhaltende landwirtschaftliche Betriebe im Jahr 2020) vervielfacht. Während vor 60 Jahren die „gefühlte“ Expertise im Umgang mit Tieren wie selbstverständlich bei den Landwirten lag, erhebt heute die Mehrheit der Haustierhalter den Anspruch zu wissen, wie man mit Tieren (egal ob Haus- oder Nutztier) umgehen sollte! Dies wird unterstützt durch die Medien, deren Akteure eher im urbanen Milieu zuhause sind…
Wenn wir also mit unseren Freunden aus der Stadt vor dem Schaufenster einer dieser relativ neuen Haustierboutiquen stehen und den Kopf schüttlen, während sie laut ihre Begeisterung für Designernäpfe äußern, bleiben wir ganz ruhig und denken an ihre Prägung…