Aktuell erfahren die „Freien Wähler“, eine politische Partei mit den meisten Mitgliedern in Bayern, einen regen Zulauf von prominenten Vertretern der Landwirtschaft im Social Media Bereich. Die Freien Wähler gründeten sich am 24.01.2009 und stehen für teils liberale, teils konservative, teils sozialliberale Standpunkte. Zur Bundestagswahl 2021 erreichten die Freien Wähler 2,4% der Stimmen und bilden damit die größte Gruppe der außerparlamentarischen Opposition. Seit 2018 sind die Freien Wähler als Koalitionspartner der CSU in Bayern in Regierungsverantwortung.
Solange wir denken können, waren die Landwirte mehrheitlich Stammwähler der CDU. Was passiert da also gerade? Spätestens seit den Protesten gegen geplante schärfere Regeln in der Landwirtschaft im Spätherbst 2019 mit Treckerdemos vor dem Brandenburger Tor in Berlin brodelt es unter den deutschen Landwirten. Und auch aus anderen europäischen Ländern sieht man Bilder von langen Treckerkorsos, allen voran aus den Niederlanden. Die Landwirte fühlen sich von der Politik im Stich gelassen, in ihrer Existenz bedroht und von der Gesellschaft zu oft als Problem wahrgenommen. Schon oft war das Thema in unserem Blog. Nun scheinen sie sich eine neue politische Heimat zu suchen. Ist das zielführend? Die Begründung von z.B. Anthony Robert Lee, eines sehr populären landwirtschaftlichen Internet-Aktivisten, ist die Politik der Koalition von CSU und Freien Wählern in Bayern. Die Tatsache, dass in Bayern gerade Wahlkampf ist und Herr Söder anstatt Bäume zu umarmen sich derzeit lieber für ein „Entnahme“ des Wolfes stark macht, wird da etwas vernachlässigt. Wie auch immer, die Fragen müssen doch lauten, ist der derzeitige Einfluss wirklich so gering und wie bekommen die Landwirte wieder mehr Einfluss auf die Agrarpolitik?
Die Grafik oben zeigt die Anzahl der Mitglieder des Agrarausschusses im 18. und 19. Bundestag der Bundesrepublik Deutschland entsprechend ihrer Fraktionszugehörigkeit. Den größten Anteil der Abgeordneten im Ausschuss stellte die CDU/CSU Fraktion. Sollten die Freien Wähler bei der nächsten Bundestagswahl die 5-Prozenthürde nehmen, wird das den Anteil der CDU/CSU Vertreter im Agrarausschuss voraussichtlich nicht wesentlich beeinflussen. Wäre es also nicht zielführender, sich weiterhin in der CDU bzw CSU zu engagieren? Sind deren Vertreter der Landwirtschaft in Berlin und vor allem auch in Brüssel vielleicht nicht mehr die richtigen Vertreter der Landwirtschaft? Es gibt Kritik auch an einigen Köpfen, die allzu oft in vielen Gremien, Aufsichtsräten und Verbänden auftauchen, die teils schon sehr lange dabei sind und denen der benötigte „frische Wind“ nicht mehr zugetraut wird. Ist es deshalb nicht eventuell effektiver, neue Köpfe in die entscheidenden Positionen der CDU/CSU zu bringen? Unsere Demokratie lebt vom Mitmachen. Dazu gehört es, nicht nur zu wählen, sondern auch, sich wählen zu lassen. Den größten Einfluss erlangt man nach unserer Überzeugung eher über die Funktion in einer etablierten Partei, einer sogenannten Volkspartei, vorausgesetzt, deren Leitbild entspricht dem eigenen. Dieser Weg ist sicherlich mit größeren Anstrengungen verbunden als in einer kleinen Partei Karriere zu machen, aber er ist auch nachhaltiger, denn kleine Parteien werden eher mal aus dem Bundestag gewählt.
Grundsätzlich stellt sich aber eine ganz andere Frage: Wie kann sich die Landwirtschaft zukünftig überhaupt noch genügend Gehör in der Politik verschaffen?
„Beschäftigte die Land- und Forstwirtschaft 1950 noch rund 24,6 Prozent der Beschäftigten in (West-) Deutschland, ist dieser Anteil bis 2021 auf rund 1,2 Prozent gesunken.“ (Statistika.com vom 28.11.2022) Im mittlerweile 20. Bundestag sind von 735 Parlamentariern statt vorher 6 nur noch 4 Landwirte vertreten.
Gerade vor dem Hintergrund dieser Zahlen, sollten sich politisch interessierte Landwirte eine gemeinsame Strategie überlegen, statt sich auf unterschiedliche (Splitter-) Parteien zu verteilen. Es geht um so viel!