Frauen im ländlichen Raum – Klischees zwischen Treckern und Torten: Ein Interview mit Claudia Jürgensen, Präsidentin des LandFrauenVerbandes Schleswig-Holstein

R. K: Liebe Claudia, Du bist jetzt seit knapp einem Jahr Präsidentin des LandFrauenVerbandes Schleswig-Holstein. Wie war Dein erstes Jahr?

C. L.: Bunt! Es war wirklich sehr bunt. Ich habe gerade die Stundenabrechnung gemacht und festgestellt, dass im letzten Jahr 9.000 gefahrene Kilometer und 600 Stunden zusammengekommen sind und das ist nur, was ich auch aufgeschrieben habe.

Schön war ganz viel. LandFrauen sind gut vernetzt und der LandFrauenVerband hat viele Partner. Dementsprechend gibt es sehr viele Einladungen. Ich hatte mir vorgenommen, besonders im ersten Jahr, an möglichst vielen Terminen teilzunehmen. So habe ich ganz viele Leute kennengelernt und ein Netzwerk gesponnen. Das ist etwas, was LandFrauen lieben, kommunikativ sein und netzwerken.

Herausfordernd ist auch, dass ich jetzt aus dem Ehrenamt heraus Verantwortung für Mitarbeiterinnen habe. Das ist eine neue Erfahrung für mich.

Man hat ja, wenn man sich für so ein Amt bewirbt eine gewisse Vorstellung im Kopf. Und diese mit Leben zu füllen, ist dann die Herausforderung. Schön ist, dass wir im Präsidium alle gut zusammenhalten. Von den acht Frauen im Vorstand sind sechs neu dabei. Das ist auch eine gute Gelegenheit sich neu zusammenzufinden. Geholfen hat uns dabei, dass wir eine Klausurtagung über ein ganzes Wochenende gemacht haben.

R. K.: Der LandFrauenVerband ist mit mehr als 400.000 Mitgliedern der größte Weiterbildungsträger für Frauen im ländlichen Raum. Trotzdem hängen den LandFrauen immer noch das Klischee des „tortenbackenden Hausmütterchens“ an. Wie geht ihr damit um und wie reagierst Du, wenn Du mit dem alten Werbespruch „ich führe ein sehr erfolgreiches, kleines Familienunternehmen“ konfrontiert wirst?

C. J.: Das mit dem Tortenbacken beantworte ich immer mit einem Augenzwinkern: „Wir sind die, die es noch können.“ Die LandFrauen haben eine große Kompetenz im Tortenbacken, aber sie können noch viel mehr. Die eigentliche Geschichte hinter der Verbindung zwischen den LandFrauen und den Torten ist aber traurig. Sie haben sich damit lange Zeit den Verein finanziert. Als sich die LandFrauen gründen wollten, durften sie zwar einen Verein gründen, aber kosten durfte es nichts. Daher kam die Idee des Tortenverkaufs zur Finanzierung ihres Vereins.

Der bekannte Werbespruch zeigt leider das Dilemma in dem viele LandFrauen stecken. Viel unbezahlte Carearbeit führt zur Lohnlücke und der späteren Altersarmut. Vom Bundesverband werden Equal Pay Beraterinnen in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium ausgebildet, die hier beraten.

R. K.: Viele Verbände und Vereine haben stark mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen. Dies hat Corona noch verschlimmert. Bei Euch sehen wir aber, dass die sogenannten Jungen LandFrauen ein voller Erfolg sind. Bitte erklär uns, wie es dazu kam und was die Jungen LandFrauen von den LandFrauen unterscheidet?

C. L.: Die Jungen LandFrauen sind meine Lieblingserfolgsgeschichte. Junge Frauen sind auf den Landesverband zugekommen und wollten eine Gruppe für junge Frauen gründen. Das ist natürlich ein Geschenk, dass wir gerne unterstützen. Es wurde geplant und ein Konstrukt ausgedacht, dass zu einem großen Erfolg wurde. Mittlerweile gibt es in allen Kreisverbänden Gruppen von Jungen LandFrauen und die Kommunikation zu den Kreis- und Ortsverbänden klappt gut. Es war eine große Chance für den LandFrauenVerband und wir freuen uns, dass mittlerweile auch schon Junge LandFrauen in Vorständen sind. Inhaltlich unterscheidet sich die Arbeit nicht groß, alle wollen eine gute Zeit zusammen und sich über ihre aktuellen Themen austauschen. In der Organisation sind die Jungen LandFrauen viel digitaler, davon können auch wir lernen.

R. K.: Claudia, Du bist nicht nur LandFrau, sondern auch in der Landwirtschaft beheimatet. Die letzten Wochen und Monate waren sehr turbulent und die Landwirtschaft war durch die großen Proteste öffentlich sehr sichtbar. Ich habe Dich auf der großen Demo in Kiel sprechen hören. Nun hast Du Dich letzte Woche in einem Zeitungsinterview geäußert, dass jetzt die Zeit gekommen ist, um wieder an den Verhandlungstisch zurückzukommen. Wie waren die Reaktionen und was wünscht Du Dir, wie es weitergehen soll?

C. J.: Die Reaktionen waren durchweg positiv. Ich habe viele Anfragen bekommen und mir wurde oft gesagt, dass es das Thema auf den Punkt gebracht hat.

Ich wünsche mir für die Zukunft, dass der ländliche Raum in Berlin nicht vergessen wird. Daher müssen wir alle in Berlin unterwegs sein und es müssen Gespräche geführt werden. Bei der Zukunftskommission Landwirtschaft und Borchert-Kommission haben viele Ehrenamtler viel Zeit investiert und das darf jetzt nicht in der Tonne landen. Ich möchte, dass das jetzt umgesetzt wird.

Und wir brauchen noch etwas. Es ist ein großes Wort: Verlässlichkeit. Aber wir alle brauchen Verlässlichkeit, um die richtige Entscheidung zu treffen. Besonders natürlich die jungen Hofübernehmer. Das wünsche ich mir sehr.

R. K.: Als LandFrauen vertretet Ihr alle Frauen im ländlichen Raum und befasst Euch natürlich auch mit allen Herausforderungen. Was sind aus Deiner Sicht die größten Herausforderungen für den ländlichen Raum in den nächsten Jahren?

C. J.: Der LandFrauenVerband hat vier große Themengebiete als die wichtigen Herausforderungen für den ländlichen Raum herausgearbeitet: Mobilität, ärztlich Grundversorgung, Daseinsvorsorge und bezahlbarer Wohnraum.

Auf der Norla haben wir hierzu eine Befragung der Besucherinnen und Besucher durchgeführt. Diese hat ergeben, dass die ärztliche Grundversorgung als wichtigste Herausforderung angesehen wird. Ein Grund könnte sein, dass dieses Thema alle Altersstufen, vom Kleinkind bis zum Senior betrifft und auch die Geburtshilfe einen besonderen Stellenwert einnimmt. Mobilität ist ebenfalls ein wichtiger Punkt im ländlichen Raum. Grundsätzlich lässt sich alles unter dem im Grundgesetz verankerten Anspruch auf gleichwertige Lebensverhältnisse zusammenfassen.

Vor diesem Hintergrund sind die Kürzungen der GAK-Mittel für den ländlichen Raum absolut unverständlich. Auch hier gilt, Berlin darf den ländlichen Raum nicht vergessen.

R. K.: Vielen Dank, dass Du für ein Interview zur Verfügung gestanden hast und alles Gute für Deine weitere Amtszeit.

Zur Person: Claudia Jürgensen ist gelernte Tischlerin und studierte Bauingenieurin. Nach der Hochzeit mit einem Landwirt ist auch sie der Landwirtschaft verfallen und hat eine Prüfung zur Hauswirtschafterin abgelegt. Sie ist seit 30 Jahren Mitglied der LandFrauen und liebt besonders die Gemeinschaft und die Kraft der vielen unterschiedlichen Frauen. Der Verband hat sie durch viele Seminare und Begegnungen stark gemacht und sie ist stolz, dass sie den Verband als Präsidentin jetzt stark machen darf. Ihre Freizeit verbringt Claudia Jürgensen am liebsten mit ihrem Mann und ihrer Hündin. Sie spielt Doppelkopf und plattdeutschen Theater und rettet gerne alte Möbel.

Bildquelle: https://landfrauen-sh.de/wir/vorstand/

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