Zu Beginn meiner Berufstätigkeit begegnete mir an der Haustür eines Berufskollegen ein Schild mit folgender Aufschrift: „Der Bauer ist ein Mensch wie Du, drum gönn ihm seine Mittagsruh!“ Für mich damals eine Selbstverständlichkeit, war ich doch in der Landwirtschaft aufgewachsen und wusste um die Bedeutung dieser notwendigen Gewohnheit. Wehe dem, der als Kind bei uns die Mittagsruhe störte!
Heute denkt die Mehrheit der Bevölkerung beim Thema Mittagsschlaf an Kleinkinder, die oft noch längere Zeit ein Schläfchen über Tag brauchen, um es gut gelaunt bis zum Abendbrot zu schaffen. Für den Landwirt, insbesondere wenn er Tierhaltung betreibt und von morgens früh bis abends spät auf den Beinen ist, ist die Mittagsstunde eine wichtiges Zeitfenster, in dem er sich -meist nach dem Mittagessen- kurz hinlegen kann. Wie hilfreich ist da so ein Schild an der Haustür!
Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant gewandelt. Mehrheitlich gelten geregelte Arbeits- und Pausenzeiten und wenn ich um 15:00 Uhr Feierabend machen und in meine Freizeit wechseln kann, möchte ich diesen Termin nicht durch eine verlängerte Mittagspause nach hinten verschieben. Außerdem arbeiten die wenigsten Menschen heutzutage von zuhause, wo es die räumliche Möglichkeit für ein Nickerchen gibt. „Der Bauer“ ist gefühlt irgendwie nicht mehr „ein Mensch wie Du“. Wenn der Arbeitstag nie ein geregeltes Ende findet und Tiere an 365 Tagen im Jahr früh morgens und spät abends versorgt werden müssen, ist der Mittagsschlaf eine wichtige Voraussetzung, um das Pensum zu schaffen.
Selbst in der Landwirtschaft ist das schon nicht mehr überall so. Dort wo die Betriebe groß genug sind, um mit Lohnarbeitskräften zu arbeiten, wird mit Dienstplänen und geregelten Arbeitszeiten geplant. Der Landwirt selbst geht nicht unbedingt noch jeden Morgen von Anfang an mit in den Melkstand. Er ist eher Manager und sein Arbeitsplatz ist der Schreibtisch. Dort hat er mit Geschäftspartnern und Behörden zu tun, die keine Mittagsstunde kennen. Laut Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (2021) hat sich die Zahl der Milchviehbetriebe in Deutschland vom Jahr 2000 mit 138.500 Betrieben auf noch 57.300 Betriebe im Jahr 2020 reduziert. Die Zahl der schweinehaltenden Betriebe lag im Jahr 2020 noch bei 20.000. Während die Mittagsstunde auf den Dörfern vor 20 Jahren noch zum Allgemeinwissen gehörte und man darauf Rücksicht nahm – von 12:00 Uhr bis 14:00 Uhr wurde beim Bauern nicht geklingelt/geklopft- trifft man in der Bevölkerung heute darüber oft auf Unwissenheit. Lediglich Handlungsreisende in Sachen Dünger, Futtermittel und anderer landwirtschaftlicher Betriebsmittel wissen noch, zu welcher Tageszeit sie besser nicht auf den Hof fahren und den Hofhund zum Anschlagen bringen.
Die in den südlichen Ländern aufgrund der Mittagshitze abgehaltene Pause gehört unter dem Begriff „Siesta“ zum Allgemeinwissen. Die über Jahrzehnte in Deutschland im ländlichen Raum allseits bekannte und respektierte Mittagsstunde, ein Kulturgut (!), gerät in Vergessenheit. Schade! Die Anforderungen an landwirtschaftliche Familienbetriebe, die ohne Fremdarbeitskräfte auskommen müssen, haben sich verändert, sind aber nicht weniger kräftezehrend geworden. Waren es früher in erster Linie die körperlichen Anstrengungen, die ihren Tribut in Form eines Mittagsschlafes forderten, kommen heutzutage die mentalen Anforderungen des zeitgemäßen Managements mit Fortbildungen, Dokumentationspflichten und einzuhaltenden Fristen dazu. Von den aktuellen existenziellen Sorgen im Zusammenhang mit steigenden Produktionskosten und ungewissen Erzeugerpreisen in Folge des Krieges in Europa ganz zu schweigen.
Wir wollten in unserem Blog unter anderem auch für Verständnis zwischen Stadt und Land werben. Gerade beginnen die Osterferien und daher hier einfach mal die Bitte: Achtet auf Euren Ausflügen über Land auf Anzeichen für diese „Mittagsstunde“ und respektiert sie. Das besagte Schild haben wir lange nicht mehr gesehen….