Besuch in der anderen Blase

Für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages besteht die Möglichkeit, Besuchergruppen aus ihrem Wahlkreis in die Bundeshauptstadt einzuladen und dort über ihre Arbeit zu informieren. Ergänzt werden diese, vom Bundespresseamt organisierten Fahrten durch Besuche an geschichtsträchtige Orte und in die Bundesministerien. Ziel ist ein Beitrag zur politischen Bildung.

Trotz des strammen Programms bekommt man auch einen Eindruck von dem Leben in einer Millionenmetropole wie Berlin. Diese Stadt schläft nie und sie ist wie ein bunter, heller, manchmal hektisch erscheinender Organismus, der sich aufgrund der Bauaktivität gerade in Berlin Mitte ständig verändert. Die Menschen bewegen sich gekonnt und zügig durch den Verkehr und eine Taxifahrt kann für jemanden „vom Dorf“ zu einem regelrechten Abenteuer werden. Massen von Touristen halten sich gerade an den historisch oder architektonisch interessanten Hotspots auf. Dazwischen die Berliner, von denen gerade die Jungen sich sehr oft mit Handy in der Hand und Knöpfen im Ohr zielstrebig und mit schlafwandlerischer Sicherheit durch die Straßen navigieren. Viele Menschen aus unterschiedlichen Ethnien machen das Stadtbild zudem bunt und lebendig. Autos haben meist ortsfremde Kennzeichen, denn der Berliner fährt U- und S-Bahn.

Zurück im „Ländlichen Raum“ ist es zunächst einmal deutlich ruhiger und gegen Abend auch dunkler. Zwischen dem Zeitpunkt, wo die letzte „Nachteule“ nach Hause kommt und der Lieferverkehr früh morgens z.B. die Bäckereien und Lebensmittelmärkte anfährt, ist wirklich Nacht. Der Arbeitsweg erfolgt, wenn nicht mit dem Auto, in lückig besetzten Linienbussen über dunkle Landstraßen, statt in lauten, grell erleuchteten S- und U-Bahnen, wie in einer Großstadt. Alles läuft gefühlt langsamer und geräuschloser ab. So viel geräuschloser, dass man Vogelgezwitscher oder das Muhen einer Kuh hören kann.

Da die Politik das Ziel hat, für gleiche Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land zu sorgen, könnten sich sowohl die Städter als auch die Menschen im Ländlichen Raum tatsächlich fragen, was genau damit gemeint sein soll. Die oben genannten Eindrücke sind die Wahrnehmung reiner Äußerlichkeiten und sagen z.B. nichts über die Infrastruktur im Bildungs- oder Gesundheitswesen. Sie sagen nichts über die Effektivität der Verwaltung vor Ort und nichts über den Stand der Digitalisierung. Vielleicht gibt es genau da die großen Unterschiede, die es zu überwinden gilt? Wichtig muss sein, dass diejenigen, die auf diesem Gebiet politische Entscheidungen treffen, beide Lebenswirklichkeiten kennen! Insofern lobe ich mir diejenigen Bundestagsabgeordneten, die sich regelmäßig in ihrem Wahlkreis aufhalten und mit den Menschen dort den Kontakt halten. Wer sich nur in der „Berliner Blase“ aufhält, macht womöglich irgendwann Politik für den Bürger, wie er ihn sich vorstellt und nicht wie er wirklich ist…

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