Anstand, bitte!

Wenn man bei manchen Beiträgen im Internet durch die Kommentarspalten scrollt, ist man schon sehr verwundert, mit welcher Wortwahl die Menschen dort aufeinander losgehen. Da wird wegen vermeintlichen Kleinigkeiten gepöbelt, gehetzt und beleidigt, als würde es um Leib und Leben gehen.

Oder diese, quasi schon legendären Chatverläufe bei Portalen wie Ebay Kleinanzeigen oder Vinted. Möchte man gutes Gebrauchtes im Internet verkaufen, muss man sich mittlerweile nicht nur auf übliche Preisverhandlungen, sondern auch auf wüste Beschimpfungen einstellen, wenn man nicht auf jedes Angebot eingeht.

Lange dachte ich, dass dies ein besonderes Problem des Internets ist, kann man sich doch zu leicht hinter Synonymen verstecken. Und auch mit Klarnamen ist es einfacher, unfreundlich zu sein, wenn der vermeintliche Gegenüber irgendwo in Deutschland oder gar auf der ganzen Welt ist. Die Gefahr, diesen Personen mal im realen Leben, also „in echt“ zu begegnen, ist verschwindend gering.

Nun nehme ich aber vermehrt wahr, dass dieses Verhalten einem auch immer mehr im normalen Alltag über den Weg läuft. Harsche Worte gegenüber der nach Kleingeld suchenden Oma an der Supermarktkasse, wildes Gehupe an der Ampel und pöbelnde Menschen in der Fußgängerzone.

Woran mag diese Entwicklung liegen? Verlagert sich das emphatielose Verhalten aus dem Netz auf das reale Leben, weil wir abgestumpft sind? Haben die Corona-Pandemie und die damit verbundene Isolation so tiefe Spuren in uns hinterlassen? Wird bei der Erziehung nicht mehr genug Wert auf Anstand und gute Manieren gelegt? Liegen die Nerven aufgrund der unsicheren Zeiten mit ständigen Bedrohungen, durch z.B. Krieg, Klimawandel, wirtschaftliche Unsicherheiten so blank? Wahrscheinlich befinden wir uns in einer Spirale aus all diesen und weiteren Gründen. Besorgniserregend.

Dass man diesen Fällen nicht nur im normalen Alltag begegnet, haben die Berichte über die letzten Plenarsitzungen im Bundestag gezeigt. Auch dort liegen die Nerven scheinbar blank und Berichterstattungen über Wutausbrüche und Beschimpfungen bestimmen die Nachrichten, mehr noch als die inhaltlichen Auseinandersetzungen. Und auch dies ist gefährlich. Zum einen, weil bei so einem hohen Hause von einer Vorbildfunktion ausgeht. Zum anderen aber, weil es die notwendige Aufmerksamkeit der Bevölkerung von den so wichtigen Inhalten der Debatte ablenkt. Solch ein Verhalten ist somit doppelt schädlich.

Es ist gut, hart in der Sache zu diskutieren, aber wir sollten den Anstand dabei nicht verlieren. Ein altes jüdisches Sprichwort besagt „Wenn ein Weiser in Wut gerät, verliert er seine Weisheit“. Damit ist wohl alles gesagt…

Bildquelle: https://pixabay.com/de/photos/schafe-bl%C3%B6ken-kommunikation-2372148/

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